In München-Schwabing wird mit der neuen Unternehmenszentrale von Microsoft eine der modernsten Arbeitsumgebungen in Deutschland präsentiert. Wer stünde besser für die Idee einer vernetzten Arbeitswelt, als das Unternehmen Microsoft, dass diese Welt maßgeblich mit erfunden hat?
Zur Eröffnung reist die Polit-Prominenz an: Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und etliche andere. Auch ich mit meinem perlroten Köfferchen bin dabei, um der Sache auf den Grund zu gehen: Wie sieht der Work place der Zukunft aus? Wie wird sich die Arbeitswelt verändern und noch viel wichtiger: Wie geht es den Mitarbeitern, die mit all den Veränderungen Schritt halten müssen?
Ein Bürogebäude, was keines ist
Auf sieben Etagen stehen 1.900 Mitarbeitern 26.000 Quadratmeter zu Verfügung, 2.800 Fenster und 67 Konferenzräume, die Platz für bis zu 250 Personen bieten. Das Gebäude erfüllt höchste Standards in Sachen Nachhaltigkeit, mit ökologischen Ausgleichsflächen auf den Dächern, Elektrotankstellen für Autos und Fahrräder und automatischer energiesparender Regulierung der gesamten Beleuchtung.
Es gibt ein Live-Cooking Restaurant, einen riesigen Fitnessbereich und elf Dachterrassen. Und selbstverständlich, wir sprechen über einen der führenden Technologiekonzerne der Welt, sind alle Räume auf höchstem technischem Niveau. Betritt man die Eingangshalle dieses Gebäudes, wirkt in diesem Tempel eines jedenfalls vollkommen deplatziert: das Wort Büro.
Das existiert in diesem Unternehmen eigentlich schon lange nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat Microsoft das Wort Büro mit den Begriffen der Vertrauensarbeitszeit und des Vertrauensarbeitsortes im Grunde abgeschafft. Und damit natürlich auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durchlässiger gemacht. Das sich immer weiter und immer stärker verändernde „Nutzungsverhalten“ der User – sprich: Mitarbeiter – hat nun zu einem weiteren Entwicklungsschritt geführt.
Smart workspace
Mit der Eröffnung der neuen Zentrale ist die kleine Revolution der vergangenen Jahre zu einer großen geworden. So groß, dass man in der Führungsetage bereit von einer „Emanzipation“ von Raum und Zeit spricht. Zentrale Neuerung ist das Konzept, das gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation entwickelt wurde. Das Team um Udo-Ernst Haner hat über mehrere Monate die Bedürfnisse der Microsoft-Mitarbeiter ermittelt und dabei räumliche und technische Faktoren miteinander verknüpft.
Das Ergebnis, das alles andere als ein Schnellschuss war, trägt den Namen smart workspace. Damit wird ein Ort bezeichnet, an dem „wir flexibel entscheiden können, wo, wann und mit wem wir zusammenarbeiten – über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg“, heißt es in der Selbstdarstellung des Unternehmens. Das beschreibt keinen Raum mehr, schon gar kein Großraumbüro, sondern eine Gliederung, die sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Nutzer orientieren soll:
Think Space
Rückzugsbereich für hochkonzentrierte Alleinarbeit. Die einzelnen Cubes und Lounge Sessel sind abgeschottet und der gesamte Bereich als „Quiet Area“ gekennzeichnet.
Share & Discuss Space
Dynamische Arbeitsumgebung für Kommunikation und Dialog. Hier können Brainstormings stattfinden, Ideen gemeinsam entwickelt oder Konzepte diskutiert werden.
Converse Space
Flächen für kollaboratives Arbeiten. Sie unterstützen vornehmlich Zusammenarbeit und diesbezüglichen Austausch. Der Converse Space ist für gemeinsame Projektarbeit geeignet oder wenn Alleinarbeit und Teamwork im schnellen Wechsel erforderlich sind.
Accomplish Space
Klassische Arbeitsplätze für konzentriertes und individuelles Arbeiten am Schreibtisch. Daher ebenfalls eine „Quiet Area“.
Das Konzept basiert auf den verschiedenen Arbeitsformen, die eine digitale Gesellschaft kennzeichnen: Areale, die bedarfsorientiert möbliert sind und über unterschiedliche technische Ausstattungen verfügen. Kurze Wege zwischen den einzelnen Arealen ermöglichen das zügige Wechseln von einem Workspace in einen anderen.
Einen eigenen Arbeitsplatz gibt es nicht mehr: Morgens wählt jeder Mitarbeiter, je nach anstehender Tätigkeit selbstständig die für ihn angemessene Arbeitsumgebung. Die sogenannte Clean-Desk-Policy, die einen vollständig geräumten Schreibtisch nach Feierabend verordnet, hilft dabei. Bei aller Freiheit sind also Regeln nach wie vor wichtig.
Selbstbestimmte Gestaltung des Alltags
Diese Raumaufteilung hat ein wesentliches Ziel, das sich etwas überspitzt so formulieren lässt: Der Mitarbeiter hat keinen eigenen Arbeitsplatz mehr. Stattdessen hat er eine Aufgabe. „Unsere Welt wächst mehr und mehr wie ein einziges Netzwerk zusammen, geprägt von Kollaboration, kreativer Verknüpfung, interdisziplinärer Teamarbeit und neuen Denkmustern“ heißt es dazu bei Microsoft.
„Wir sehen, dass die selbstbestimmte Gestaltung des Alltags mit fließenden Übergängen zwischen Arbeit und Privatem anstelle einer starren Verteilung die Lebenswirklichkeit unserer Mitarbeiter besser abbildet. Wir ermöglichen ihnen damit mehr Flexibilität bei der Organisation des privaten und familiären Alltags.“, formuliert Sabine Bendiek, die Geschäftsführerin von Microsoft Deutschland, das Konzept..
Die langzitierte Work-Life-Balance ist allerdings überholt, fügt Markus Köhler, Senior Director Human Resources, hinzu. Er nennt den Begriff #worklifeflow. Und erläutert, dass das mehr sei als nur die nächste Wortschöpfung, sondern eine echte natürliche Innovation.
Die Idee eines idealen Gleichgewichts zwischen Arbeit und Privatem sei zwar gut gemeint, impliziere aber im Grunde noch immer einen Gegensatz zwischen beiden Welten. Wir wollen, das jedenfalls glaubt Köhler, nicht mehr zwischen Arbeit und Privatem unterscheiden, sondern „unser Leben ganzheitlich, individuell und flexibel gestalten“.
Markus Köhler kann sich jedenfalls bei seinen Äußerungen auf wissenschaftliche Ergebnisse berufen. Wer seine Arbeit selbstbestimmt gestalten kann, erreicht, laut einer Studie des Fraunhofer Instituts (vgl. Fraunhofer Studie, Office 21, Forschungsphase 2014-2016) nicht nur eine bessere Balance seiner Interessen, eine höhere Motivation Leistungsfähigkeit, sondern befindet sich eben in einem kreativen Flow.
Flexible Arbeitsformen erhöhen, einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW, 2014) zufolge, die Innovationskraft und Produktivität in Unternehmen im Vergleich zu jenen Unternehmen mit herkömmlichen Arbeitszeitregelungen.
Dieser berühmte Flow, von dem vor allem Ausdauersportler erzählen, wird sich allerdings nicht einzig aufgrund von veränderten Arbeitsumgebungen zeigen. Dazu gehören noch andere Bedingungen, die eher im humanen oder sozialen Bereich zu suchen sind: Gehalt, Ansehen, Karrieremöglichkeiten. Und da gehört Microsoft bestimmt nicht zu den schlechtesten Optionen.
Und der Mitarbeiter?
Und da ich mich immer für die Mitarbeiter und Nutzer ins Zeug lege, habe ich gleich Ragnar Heil angesprochen. Er leitet den Partner Channel für Office 365 E5 in Deutschland, Italien, Österreich und Schweiz aus der Microsoft Corp. heraus. Er nutzt jedes (und das meint er wörtlich!) Tool von Office 365, und meist auch jeden Tag.
Frage Babett: Elf Dachterrassen mit einer Fläche von beinahe 1800 Quadratmetern. Genug Platz, um eine Boeing 747 zu parken. Aber wer will seine 747 schon auf einem Dach parken? Ich landete jedenfalls ganz klassisch am Flughafen. Ragnar, sagen all die Zahlen und die neu eingeführten Begriffe eigentlich etwas über die Situation der Mitarbeiter aus? Besteht nicht zu Recht die Befürchtung, dass, wenn wir aufhören zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen, die Arbeit nie aufhört?
Antwort Ragnar Heil: „Wichtig ist für mich zu betonen, dass Arbeit kein Ort ist, wo ich hingehe – so wunderbar das neue Office in Schwabing auch ist. Ich arbeite in ganz vielen unterschiedlichen Räumen: Unsere diversen Microsoft Offices, Büros meiner Partner, vor allem mein Home Office, aber sehr viel ’on the road’, im Zug, Flughafen, Hotelzimmer oder im Café.
Ich habe in 1999 meinen Berufseinstieg gehabt und weiß als Kind der New Economy, wie lange Nächte in Büros von Startups aussehen. Diese Zeit ist für mich vorbei und ich weiß, wie ich mit meiner Energie haushalte. Ich möchte meinen Lebensstil keinem anderen aufdrücken, aber es gibt nie den Tag, wo ich von 9-17h an einem gleichen Arbeitsort bin. Mein Tag wirkt recht fragmentiert und ist durchzogen von Freizeit und Arbeit wie ein Marmorkuchen. Erst heute konnte ich morgens im Schwimmbad meine Runde ziehen und am späten Nachmittag einen Call mit einer Waldwanderung verbinden. Calls mit Redmond zu Westküstenzeiten gehören auch dazu.
Das neue #OfficemitWindows in Schwabing ist für mich deshalb ein Ort, wo ich ganz gezielt wegen Menschen (Kunden, Kollegen, Partner) hingehe (Workshops, Trainings, Executive Briefings, Konferenzen) und nicht, um meine normale alltägliche Arbeit zu verrichten.“
Frage Babett: Wenn du so viel unterwegs bist, in welchen virtuellen Räumen hältst du dich dann auf?
Antwort Ragnar Heil: „Wenn ich nicht mit meinen deutschen Partnern (http://www.microsoftpartnercommunity.com) in Skype for Business Calls bin oder sie vor Ort treffe, läuft meine breite Kommunikation über Yammer (https://www.yammer.com/msdepartner/). Ich antworte gerne und sehr zeitnah auf E-Mails, vermeide jedoch das Verfassen von Newslettern, da ich über Yammer viel agiler und zeitnaher informieren kann.
Über den Tellerrand der deutschen Office 365 Partner Szene schaue ich in diese neuen Partner Community. Kunden können ihre Frage zu unseren Lösungen gerne in der neuen TechCommunity (https://techcommunity.microsoft.com) stellen und wir freuen uns auch über Anregungen, Feedback und vor allem Erfahrungsaustausch.“
Offen für alle – offen für die Zukunft
Besucher sind in diesem Gebäude jederzeit willkommen. Auch hier verschwimmen die Grenzen. Nicht zwischen Arbeit und Freizeit, sondern zwischen Werbung und Verkauf, Begeisterung und Akquise. Und doch ist es genial gemacht. Denn klare Grenzen verschwimmen derzeit überall.
Über die vier Arbeitsbereiche hinaus, abseits von Dachterrassen, Fitnessstudio und Café – Pardon: „Digital Eatery“ – gibt es andere Areale, die sich an den Produkten von Microsoft orientieren. Etwa das Holodeck, wo die HoloLens präsentiert wird, eine Brille, mittels der neuartige Wahrnehmungen möglich sind, die aus Hologrammen generiert werden. Einer der interessantesten Trends in der Technologie sind derzeit sogenannte „Mixed Realities“. Ebenen, die sich aus beiden Realitäten zusammensetzen, der tatsächlichen Wirklichkeit und der digitalen Wirklichkeit.
Wer erinnert sich nicht an den Sommer 2016, wo meist Jugendliche wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und ins nächste Gebüsch gerannt sind oder schreiend auf eine Ecke zu, wo sie jubelnd etwas Reales zu sehen und mit Glück auch zu fangen meinten. Etwas, das für alle anderen nicht vorhanden war.
Diese Jugendlichen haben zwar lediglich Pokémon go gespielt, ein virtuelles Spiel, das auf google maps nach einem unvorhersehbaren Algorithmus irreale Wesen – Pokémons – projiziert hat. Wesen, die es ganz objektiv nicht gibt. Gleichzeitig haben diese Jugendlichen aber etwas viel Wichtiges gemacht: sie haben die nächste Ebene der Zukunft entdeckt. Eine Ebene, der in den kommenden Jahren Milliardenumsätze prognostiziert werden. Und Microsoft ist mittendrin in dieser Zukunft.
So, das ist doch im Grunde seit Jahren mein Credo, wenn ich über das Intranet referiere: Wir implementieren nicht nur eine neue Software oder ein neues Tool, sondern wir sind mittendrin in einem Prozess, der eine neue Unternehmenskultur hervorbringen wird. Eine neue Kultur des Arbeitens und dadurch auch der Freizeit. Die Studie „The Future of Jobs“ des World Economic Forums (Januar 2016) listet flexible Arbeitsumgebungen als absoluten Toptrend auf. 44 Prozent der Befragten sehen flexibles Arbeiten als Haupttreiber von Veränderungen.